Die Farbe der Sonne
Menschlich, ohne jedoch zu „menscheln“: Ludwig Fels schreibt in den „Parks von Palilula“ über die Liebe eines alternden, gelegentlich an sich und der Welt verzweifelnden Mannes zu einem Kind.
Drei Sätze: „Udoka hat ein Gänseblümchen hinters Ohr gesteckt und blickt mit ihren großen, tiefen, braunen Augen ruhig, fragend, als könnte ihr etwas gezeigt werden, das ihr unbekannt wäre – ein Moment, der nie aufhört. Davon darf man nicht einmal träumen. Weil man sonst im Schlaf weint.“ Sätze aus dem neuen Buch von Ludwig Fels.
Der in Mittelfranken geborene Ludwig Fels lebt seit Langem in Wien. Er hat sich einst im „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“ einen Namen gemacht; ihn deshalb als „Arbeiterschriftsteller“ zu klassifizieren wäre zwar biografisch korrekt, aber zu kurz gegriffen. Auch Literatur, die das Milieu von Arbeitern thematisiert, ist nicht automatisch „Arbeiterliteratur“, sonst müssten Brechts „Mutter“ oder Friedrich Wolfs „Cyankali“, Upton Sinclairs „Dschungel“ oder John Steinbecks „Straße der Ölsardinen“ dazuzählen. Alle bisherigen Versuche, „Arbeiterliteratur“ an der Herkunft von Autoren oder an stofflichen Kriterien festzumachen, sind gescheitert.
In den vergangenen Jahren ist es still geworden um Ludwig Fels, der rund zwei Dutzend Bücher, zahlreiche Theaterstücke und Hörspiele vorzuweisen hat. Der Literaturbetrieb hat ein kurzes Gedächtnis. Manche Schriftsteller, etwa Franz Innerhofer, sind daran zugrunde gegangen. Das neue Buch von Ludwig Fels, das keine Gattungsbezeichnung trägt, fängt auf die denkbar natürlichste Weise an: mit einer Geburt. Eine Frau, die man bei der ersten Erwähnung – warum eigentlich? – fälschlicherweise für die Frau des Ich-Erzählers hält, hat ein gesundes Mädchen zur Welt gebracht. Wir ahnen eine Lebensgeschichte. Doch es bleibt bis zum Ende bei deren Beginn. Wie anders? Auf der zweiten Seite steht die Jahreszahl 2007. Dass das Kind Udoka heißen sollte, stand schon vor der Entbindung fest.
Das Kind hat eine Eigenschaft, die es mit einem Titelhelden Peter Henischs teilt und die, jedenfalls in Ottakring oder Hernals, als Besonderheit gelten muss. Es ist schwarz – oder vielmehr „braun und aus Gold und hat die Farbe der Sonne, wenn sie durch den Horizont pflügt“. Das kommt daher: Seine Mutter ist eine Ibo aus Nigeria. Der Erzähler berichtet, wie er diese Mutter, die er mit dem Buchstaben B. anonymisiert, mitten in Wien kennenlernte. Nach und nach wird für ihn und mit ihm für den Leser das Exotische vertraut. Dieses Buch ist menschlich, ohne zu „menscheln“, es begegnet der Xenophobie, ohne zu moralisieren. Mit großem Respekt, aber ohne sentimentale Verklärung beschreibt der verheiratete Erzähler, der sich an einer Stelle als Udokas „halber Vater“ bezeichnet, die trotz allem alleinerziehende schwarze Mutter und erfolglose Betreiberin eines kleinen Ladens B., berichtet er von ihren Erfahrungen, Erlebnissen, Verhaltensweisen. Und er spricht von B. aus-, aber über sie hinausgehend die brisante Problematik des Asyls an.
Er versucht gar nicht erst, seine Anteilnahme und seine Empörung zu unterdrücken. Und wer da meint, das sei zu agitatorisch, der muss sich fragen lassen, ob er nicht die Aussage meint, wo er die Form kritisiert, und warum ihn das Fehlen dieses Engagements in der Mehrzahl der Publikationen nicht mehr stört als seine Äußerung. „Was sind das für Menschen, die in österreichischen Gefängnissen festgehalten werden? Rund die Hälfte der Insassen Flüchtlinge, und davon wiederum mehr als die Hälfte Schwarzafrikaner. Ihr Leben findet eigentlich nur in der Rolle des Opfers statt: entrechtet, gerichtet.“ Man ahnt die Leserbriefreaktion: „Kriminelle, Drogendealer.“ Ach, es ist alles so vorhersehbar in Österreich.
Als es darum geht, ob Udoka nach Nigeria gebracht werden soll, kommentiert der Erzähler: „Vielleicht, denke ich, wird es gut für sie sein, bei ihren Leuten aufzuwachsen und stark zu werden, ehe sie sich hier dem herrschenden Totentanz einer bis ins Herz verkrüppelten Rasse stellt. Aber ich glaube nicht daran.“ „Die Parks von Palilula“ ist auch ein Buch über einen alternden, gelegentlich an sich und der Welt verzweifelnden, von Todes- und Existenzangst geplagten Mann, der durch ein Kind Lebensmut und -sinn zurückgewinnt. Es ist aber mehr als alles andere ein Buch über die Liebe zu einem Kind, das schwarz und nicht das eigene ist. Diese Konstellation bewirkt, dass die individuelle Geschichte zugleich universell wird, auf die „Familie der Menschheit“ verweist, die man in Fotoausstellungen eher antrifft als in der alltäglichen Wirklichkeit.
Dass der Text autobiografisch sei, suggeriert die Tatsache, dass die Heimatstadt des Erzählers Treuchtlingen ist, wo Ludwig Fels geboren wurde, und dass der Erzähler jener Generation angehört, die in ihrer Jugend Allen Ginsberg las und die Fugs oder Thin Lizzy hörte. Auch dass er, nicht zuletzt durch B., auf seine alten Tage religiös geworden sei, kann man für möglich halten. Gott – und keineswegs der afrikanische – wird in dem Buch mehrmals angerufen. Rührend fast ein zusammenhangloser Absatz: „Udokas Mutter hat noch keine einzige Zeile von mir gelesen. Und ob sie es tun würde, wenn sie der deutschen Sprache mächtig wäre, steht ganz gewiss auf keinem andern Blatt.“ Das nennt man narzisstische Kränkung. Wer hätte dafür nicht Verständnis? Der Literaturliebhaber wird die Zeilen mit umso größerem Gewinn lesen, wenn er auch kein Ersatz für Udokas Mutter sein kann.
Fels schreibt eine poetische, rhythmisierte Prosa, entfernt von der Alltagssprache und doch klar und widerstandslos zu lesen. Diese Sprache ist von großer Schönheit, ohne freilich den Zweck, das Erzählen, zu verraten. Ein einleitender Absatz beschwört die Form des Tagebuchs, und Datierungen im Text, vom September 2007 bis zum März 2009, weisen in diese Richtung, aber Stil und Struktur dementieren den Anspruch. Die Chronologie wird häufiger durchbrochen, als es beim Schreiben eines Tagebuchs üblich ist, und der Adressat ist unverkennbar ein Leser, nicht, wie beim intimen Tagebuch, der Autor selbst. Vielleicht sollte man „Die Parks von Palilula“ einen Tatsachenroman nennen. Wenn man wüsste, was ein Roman und was Tatsachen sind. Übrigens: Palilula ist ein Stadtteil Belgrads und steht hier für den „balkanisierten“ Teil Wiens.
Jeder Kritiker, Redakteur oder Lektor kennt den Eindruck, dass ein Text gekürzt werden könnte. Oft wird dabei die Ungeduld des Lesers mit einer Eigenschaft des Textes verwechselt. Jeder Autor kennt die Liebe zu seinen Wörtern, von denen er keines für verzichtbar hält. Wir wollen uns für den Autor und gegen die Ungeduld entscheiden und die Länge des Buchs von Ludwig Fels genau richtig finden.
Thomas Rothschild, Die Presse
Im Kleinen scheint hier möglich, was sich Ludwig Fels, Rebell und Träumer noch immer, für die ganze Menschheit erhofft: die Utopie einer Welt, die groß genug ist „für jeden Glauben, jede Rasse, jedes Volk“. Sein Tagebuch über die Parks von Palilula ist ein anrührendes Zeugnis dieses Vertrauens in die Menschlichkeit. Sabine Doering, FAZ
Ein wunderbares, sehr persönliches und berührendes Buch, eine ganz besondere, zauberhafte, zarte Liebesgeschichte. Neues Volksblatt
Dieses Buch ist menschlich, ohne zu „menscheln“, es begegnet der Xenophobie, ohne zu moralisieren. […] Fels schreibt eine poetische, rhythmisierte Prosa, entfernt von der Alltagssprache und doch klar uns widerstandslos zu lesen. Diese Sprache ist von großer Schönheit, ohne freilich den Zweck, das Erzählen, zu verraten. Thomas Rothschild, Die Presse
Ludwig Fels beweist mit Die Parks von Palilula erneut sein Gespür für große zeitgenössische Themen. […] Frei von jeder Sozialromantik schildert Fels Versuche, aufeinander zuzugehen, aber auch die Grenzen der Verständigung. Der Blick seines Erzählers auf das Leben der afrikanischen Flüchtlinge ist ein illusionsloser. Gudrun Hamböck, Ö1 Ex Libris
Ludwig Feld‘ bezaubernde Geschichte über eine unverhoffte Vaterliebe ist zugleich ein Lehrstück über die Fremdenfeindlichkeit in einer europäischen Zitadellengesellschaft. Und selten hat man ein derart schonungsloses Selbstbekenntnis eines Autors gelesen, der das Leiden an seiner Erfolglosigkeit mit geradezu jesuitischem Furor vorträgt. Bartholomäus Grill, Die Zeit
Es wirkt anstrengungslos und ist doch ein Kunststück, wie der Autor das Porträt eines ganz der Entdeckung des Neuen zugewandten Kindes mit dem Porträt des Schriftstellers als alternder Mann verknüpft. […] „Willkommen!“, ruft der Autor einem kleinen Mädchen zu, und das ist auch ein Akt nachgetragener Liebe, für die es im Leben zu spät ist, nicht aber in der Literatur.
Meike Fessmann, Süddeutsche Zeitung
Palilula – eigentlich der Name eines Belgrader Vororts – steht als Synonym der Utopie eines gelobten Landes, von dem es einen Zipfel zu erhaschen gilt, um für diese Wirklichkeit zu retten, wovon jedes Kind erfüllt ist: Gegenwart, Präsenz, Lust, Neugierde und Wachheit für das Leben. Die Paradiese der Wildnis aber sind es, an die „Die Parks von Palilula“ die Erinnerung aufrecht erhalten, und aus der die Utopie des Menschen wieder ersteht. „Die Parks von Palilula“ ist nicht nur stürmisch wie, er ist ein Liebestext. Martin Kubaczek
Im wilden, kruden Zugriff auf die Sprache erinnert Ludwig Fels an den verstorbenen Wolfgang Hilbig, der sein proletarisches Herkommen auch manchmal zu verraten glaubte, wenn er schrieb. Für seinen Zwiespalt hat Fels ein Thema herangezogen, das seit Jahren auf der Strasse liegt und doch noch kaum je aufgegriffen worden ist: die Asylanten und ihr Elend in Europa. So ist ein bewegendes Stück Literatur entstanden, dem einige Klischees […] nicht allzu viel anhaben. Auch schadet es wenig, wenn der Dichter gelegentlich gar zu laut schreit, um den Lesern seine Wahrheit beizubringen. Beatrice von Matt, NZZ
In seinem neuen Buch erweist sich Ludwig Fels als meisterlicher Stilist, der nicht mit Lyrismen und suggestiven Metaphern spart. Günter Kaindlstorfer, Bayrischer Rundfunk
Eine berührende, sehr schöne Geschichte über eine ganz besondere Beziehung.
Apropos, Straßenzeitung für Salzburg
Für das Beschreiben seiner Glücks- und Erlösungsfantasien scheut Fels weder Exhibitionismus noch Pathos. Dabei gelingen ihm Bilder von großer sprachlicher Schönheit und voller Kraft und Tiefe. Karl Vogd, Bibliotheksnachrichten
„Reise zum Mittelpunkt des Herzens“ hieß der letzte Roman von Ludwig Fels, der den einstmals eher derben, an Alan Ginsberg und Jack Kerouac geschulten Autor in einem neuen Licht zeigte. Er erzählte von einem todkranken Mann, der an einem hellen Sommertag, wie er schöner nicht sein könnte, aus dem Krankenhaus entlassen wird und sich noch einmal dem Leben und der Liebe hingibt. Mit seinem neuen Buch verfolgt der 1946 im fränkischen Treuchtlingen geborene Autor den eingeschlagenen Weg nun weiter, aber gewissermaßen vom anderen Ende her. Dieses Mal ist es nicht der Tod, der das Herz sperrangelweit öffnet, sondern dessen Gegenteil, die Geburt. Hals über Kopf stürzt sich ein alternder Schriftsteller mitten hinein in die närrische Liebe zu einem kleinen Menschenwesen. „Udoka“ heißt es, kommt ganz am Anfang des Buchs zur Welt und ist die Tochter nigerianischer Eltern, die in Wien Asyl gefunden haben, wo der Schriftsteller und seine Frau seit vielen Jahren leben.
Ludwig Fels hat die Form eines fingierten Tagebuchs gewählt, um seiner Geschichte um die dunkelhäutige Lichtgestalt Udoka Präsenz und Dringlichkeit zu geben. Es wirkt anstrengungslos und ist doch ein Kunststück, wie er das Porträt eines ganz der Entdeckung des Neuen zugewandten Kindes mit dem Porträt des Schriftstellers als alternder Mann verknüpft. Beinahe jeden Tag bittet er Udokas Mutter, die kleine „Prinzessin“ im Kinderwagen spazieren fahren zu dürfen. Er erfreut sich an ihrem Gesicht, an ihrem Lachen, Glucksen, Brabbeln, und er ist glücklich, dass sie so an die frische Luft kommt. Denn ihre Mutter führt einen kleinen „Shop“ für nigerianische Waren, wo sich ihre Landsleute nicht nur zum Einkaufen treffen, sondern vor allem, um zu rauchen und zu trinken. Es ist nicht ohne Komik, wenn ein Autor, der einst als rauchender Trunkenbold galt, sein Alter Ego mit einem Ersatz-Enkelkind zur Frischluftzufuhr durch die Parks von Wien schickt. Aber diese Komik ist wie so oft die Schwester der Tragik. Das Buch mit dem lautmalerisch klingenden Namen eines Belgrader Stadtteils im Titel – er steht für Wien als Zufluchtsort für Flüchtlinge - beschreibt nicht nur den harten Alltag der Asylanten, sondern ebenso eindrucksvoll, was es heißt, lebenslang ein Schriftsteller zu sein.
Nur wenn er etwas findet, das ihm nahe geht, kann er überhaupt noch schreiben und den Leser berühren. Und nur dann verkauft sich sein Buch - in seinen kühnsten Träumen so oft, dass er ein Haus bauen kann, in dem alle Menschen Platz finden, die er liebt, allen voran seine Frau und die kleine Udoka. Aber wer am Schreibtisch hockt, verpasst das Leben, und so beißt sich die Katze in den Schwanz. Wie ein Inbild verpasster Lebenschancen geistert der Fötus durch den Roman, den der Schriftsteller und seine Frau in ihrer Jugend abgetrieben haben und „Simonetta“ nannten. „Die Parks von Palilula“ ist Trauer- und Freudengesang in einem. „Willkommen!“, ruft er einem kleinen Mädchen zu, und das ist auch ein Akt nachgetragener Liebe, für die es im Leben zu spät ist, nicht aber in der Literatur.
Meike Feßmann, Deutschlandradio