Tom und Linda sind ein Paar, lange schon. Jetzt warten sie auf Jack, ihren Freund, und es könnten ein paar gute Stunden werden, die da vor ihnen liegen. Aber so einfach sind die Dinge nicht, denn Tom ist krank, sehr krank. Ihm bleibt nicht mehr viel Zeit, und auch darum hat Jack sich aufgemacht, noch ein paar feine Sachen für ein Picknick eingekauft und auch seinen Fotoapparat mitgebracht, denn Jack ist Fotograf. Bilder von Tom und von Linda will er machen, etwas, das bleibt und der Erinnerung ein Gesicht gibt. Tom ist damit einverstanden, aber da ist so vieles, was ihm durch den Kopf geht, und nicht für alles will er Worte finden. Es ist der Schmerz des bevorstehenden Abschieds, der sich mit der Liebe zu seiner Frau vermischt zu einer zerstörerischen Eifersucht, die sich nicht besänftigen lassen will, als sei sie das letzte starke Lebensgefühl.
Fels erzählt mit großer Klarheit und mit einer Eindringlichkeit, der man sich nicht entziehen kann. So ist es eine einfache Geschichte geworden, die doch so rätselhaft ist wie das Leben selbst und so bezwingend wie die Liebe.
Ludwig Fels zu seinem Buch
Jeder tritt heraus aus der Gewöhnlichkeit des Daseins, sobald er sich verliebt, vergißt sogar den siebten Himmel, als wäre in diesem Augenblick der Mensch dem Menschen näher als Gott. Dann lächelt man, um die Zähne zu entschärfen. So sanft die Gesichter der Liebenden, so entrückt am Beginn der Jugend, nichts hat daneben Bestand; wie geboren für die Liebe fühlt man sich, wie es so schön heißt, und der Boden verliert seine Festigkeit im freien Fall der Gefühle. Wir alle werden einst sagen: Ich glaube, es muß wunderbar gewesen sein.
Aber der Abschied ist immer eine Variante der Dämmerung, der Nacht davor, danach. Manche weinen nicht einmal oder warten. Abschiede, Trennungen: das Bild des anderen die Wunde im Herzen – mitgenommen in den Rest dessen, was hätte sein können.
Also Liebe auf den ersten und Liebe auf den letzten Blick, ließe sich sagen, Liebe bis zum letzten Augenblick – nach dem zwar nicht die Liebe von einem genommen wird, aber das, was man liebte. Aber noch hält man sich in der Umarmung fest am andern, noch liest man in den Augen des andern das Wort Hoffnung wie rückwärts; die Liebe, manchmal hilft sie, das Leben zu überleben.
Ludwig Fels
geboren 1946 in Treuchtlingen, gestorben 2021 in Wien, wo er seit den achtziger Jahren lebte. Seit 1973 Schriftsteller. Zahlreiche Veröffentlichungen als Lyriker und Erzähler, daneben Arbeiten für Hörspiel und Theater.
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Das halte ich aus
Ein lebenshungriger Roman über das Sterben
Es ist ein flirrend heller Sommertag, die Vögel singen wie verrückt, die ganze Welt strahlt vor Erwartung. Das Leben brummt. Ausgerechnet an einem solchen Tag wird ein sterbenskranker Mann aus dem Krankenhaus entlassen. Eine heikle Konstellation, die den Leser sofort gefangen nimmt. Dieser Mann, Tom heißt er, ist von Menschen umgeben, die ihn lieben. Und die vermögen einiges. Mit allen Mitteln bemühen sie sich, den Schmerz der Vergänglichkeit zu mildern, den Schmerz des Todkranken, aber auch den eigenen. Und sie versuchen, noch einmal gemeinsam das Leben zu feiern, irgendwie teilzunehmen an dem Fest, das der Himmel oder sonst wer von Zeit zu Zeit für Mensch und Tier veranstaltet.
Ludwig Fels? ?Reise zum Mittelpunkt des Herzens? ist ein lebenshungriger Roman übers Sterben. Kaum vorstellbar, dass er irgendjemand kalt lässt. Denn so wird selten über die Existenz geschrieben. So jubelnd und klar, mit so leiser Wehmut, mit solch rasendem Schmerz und zugleich mit einer solchen Lakonie. Der 1946 geborene Ludwig Fels war in den 1970er und 80er Jahren einer der bösen Buben des westdeutschen Literaturbetriebs. Solche kannte man sonst nur aus dem Osten. Ein echter Maler, kein Kunstmaler, einer, der sich mit verschiedenen Jobs über Wasser hielt, dessen Romane ?Die Sünde der Armut? oder ?Ein Unding der Liebe? hießen, der aber auch an Gedichten geschrieben hat. 1979 erhielt er den Leonce-und-Lena-Preis.
Seine Gedichte ergossen sich nicht in Lyrismen, auch wenn die Häufigkeit eines Wortes wie ?schön? dann doch verblüffte, sie waren hart und schnoddrig: ?Vater und Mutter / kenn ich nicht. / Die waren nämlich die Nachkriegswirren / Trockenmilch und Erdnußbutter / von mildtätigen Amis. / So kam ich hoch und wurde groß / ohne ans Alter zu denken. Warum auch? / Wer nichts frißt / kommt leicht ins Saufen.? Aus dem Stoff dieses Lebens und aus dem Zusammenprall verschiedener Welten ist auch sein neues Buch gemacht. Man kann nicht umhin zu fürchten, dass es autobiographisch ist. Denn wie sollte ein Unbeteiligter so tief in das Innere der Todesangst vordringen?
Seine Frau Linda warnt Tom vor, als sie ihn aus dem Krankenhaus abholt. ?Erschrick nicht?, sagt sie, ?draußen scheint die Sonne, die Vögel singen, und wie! Du hältst es nicht aus.? ?Ich halte es aus?, antwortet er. So fürsorglich und stark geht das seit mehr als zwanzig Jahren verheiratete Paar die ganze Zeit miteinander um. Der Roman lebt von den poetischen Beschreibungen der Erzählstimme und den scharf geschnittenen Dialogen, in denen sich Zuwendung und Verzweiflung zum Liebesgesang mischen oder besser: zum Song. Ihr Freund Jack vergleicht die beiden einmal mit Johnny Cash und June Carter, und das ist als Kompliment gemeint.
Dieser Jack, ein berühmter Fotograf, wollte den Freund eigentlich mit aus dem Krankenhaus abholen. Dummerweise kam im Zoo aber gerade ein Gorillababy zur Welt, das er noch schnell fotografieren musste. Für den Roman hat das einen wunderbar erheiternden Effekt. Die zwei sind mit dem Taxi nach Hause gefahren. Und während sie sich dort einrichten, ertönt immer wieder die Stimme des Freundes vom Anrufbeantworter, der mit allerlei aufgekratzten Anekdoten sein bevorstehendes Kommen ankündigt. Auch wenn seinen Witzeleien der sorgende Unterton anzuhören ist, modulieren sie die Szenerie, die sonst vielleicht allzu ergreifend wäre: Geöffnete Fenster, wehende Vorhänge, draußen die Geräusche des Sommers. Und die beiden berühren einander und alles tut weh, sie würden gerne miteinander schlafen, und es geht nicht mehr, sie gestehen sich ihre Liebe und geraten darüber in eine irgendwie auch heitere Verzweiflung.
?Was, wenn die Liebe alles nur noch schlimmer macht??, fragt Linda Jack später, als sie zu dritt einen Ausflug machen, auf dem sich Tom in eine rasende Eifersucht hineinsteigert. Als sie zurückkommen, liegen sie noch einmal gemeinsam auf der Matratze. ?Eine Weile hörte er noch zu, wie sie atmeten, sie und er. Dann, als wäre es nie anders gewesen, hörte er seinen Atem nicht mehr.?
Meike Fessmann, Süddeutsche Zeitung
Der Roman handelt von der Kraft des Lebens und von der Schwäche des Menschen. Es ist ein Kammerspiel der Trauer, in dem nicht nur die Namen der Figuren auf ihre lakonische Art alltäglich sind. Die Hölle von Tom, Linda und Jack ist von dieser höchst realen Welt, Malherbes Hölle aber ist bei Ludwig Fels auch nicht fern: «Plötzlich hätte er sich am liebsten zur Wand gedreht und von dort aus die Nacht auf der anderen Seite der Welt gehört, hätte ihr Näherkommen durch die Schichten der Erde hindurch wahrgenommen, dieses urmächtige Fauchen der schwarzen Vulkane in der Finsternis gefrorener Asche.» Mit bald sechzig Jahren ist der im schwäbischen Treuchtlingen geborene und schon seit über zwanzig Jahren in Wien lebende Ludwig Fels vielleicht kein zorniger junger Mann mehr. Und das ist gut so.
Paul Jandl, NZZ
Mit traumwandlerischer Sicherheit begibt er sich ins vom Kitsch-König tyrannisierte Tränenreich und hebt kostbare Satzschätze. Bis zur Bedeutungslosigkeit abgenutzte Wörter wie „Sehnsucht“ und "Glück" leuchten, als würden sie zum ersten Mal gebraucht.
Ewald Schreiber, Der Standard
Wie immer zeigt Ludwig Fels auch in seinem jüngsten Werk gebrochene Existenzen. Mit beinahe unbarmherziger Offenheit spricht Ludwig Fels über die Stadien körperlicher und seelischer Not, die der schwerkranke Tom durchschreitet. Er schont dabei weder sich noch den Leser, den er aufs Engste teilnehmen läßt an der physischen und psychischen Zerrüttung seines Protagonisten. Streng seinem Lebens- und Schreibgrundsatz der Wahrhaftigkeit verpflichtet, verzichtet der Autor weitgehend auf ein anekdotenhaftes Erzählen und umkreist stattdessen in den unterschiedlichsten Sprachbildern und Szenen die Befindlichkeit des Menschen, der dem Tod entgegenblickt und alles, auch sein Liebstes, zurücklassen muß.
Bücherpick
Ich empfehle die Liebesgeschichte "Reise zum Mittelpunkt des Herzens" von Ludwig Fels. Erfüllt von echtem Pathos, surrealen Bildern und expressiven Metaphern erzählt der bald 60-jährige Autor von den letzten Stunden eines Mannes auf dem Sterbebett. Die Anwesenheit seiner Frau und des besten Freundes tröstet ihn nicht. Bis zum letzten Atemzug leidet er unter seiner wahnsinnigen Eifersucht. Sie ist stärker als die Angst vor dem Tod. Ein Buch so hart und schön wie ein Song des unsterblichen Sängers Townes Van Zandt.
Hajo Steinert, Focus
Mittels kurzer Dialoge und knapper Sätze hat Ludwig Fels ein beklemmendes, intensives Kammerspiel über Abschied, Freundschaft, Liebe und Tod geschrieben. Selten hat man ein Buch gelesen, in dem der Satz „Ich liebe dich“ öfter vorkam. Ludwig Fels gelingt es, hinter jeder Verwendung dieses klassischen Subjekt-Prädikat-Objekt-Satzes eine lebendige Welt entstehen zu lassen, ohne dabei […] ein Wort zu viel zu verlieren. […] Ludwig Fels‘ jüngster Roman, der auf der Longlist des Deutschen Buchpreis 2006 stand, ist der seltene Fall eines Buches, das für sich steht. Es ist zeitlos. Unabhängig von Preisverleihungen und Modeerscheinungen.
Mario Alexander Weber, literaturkritik.de
Ludwig Fels erzählt erschütternd präzise. Hedwig Kainberger, Salzburger Nachrichten
Ludwig Fels hat einen stillen kleinen Roman über die Liebe unter den Bedingungen des Sterbens geschrieben […], in lakonischen Dialogen, die von unausgesprochenen Emotionen vibrieren, und mit sparsamen erzählerischen Gesten […], ein Hymnus auf die Schönheit des Lebens.
Ernst Osterkamp, FAZ
Ein kleiner Roman über eine große Liebe und über das Leben selbst. Eindringlich und voll bewegender Momente.
naw, Kölnische Rundschau
Ludwig Fels' "Reise zum Mittelpunkt des Herzens" ist ein aufwühlender und bewegender Roman. So wird selten über die Existenz geschrieben. So jubelnd und klar, mit so leiser Wehmut, mit solch rasendem Schmerz und zugleich mit einer solchen Lakonie.
Meike Feßmann, Deutschlandradio
Mit der "Reise zum Mittelpunkt des Herzens" gelang Fels eine dunkle, intensive, schmerzlich-schöne in ihrer Lebensgier nochmals aufleuchtende - und verglimmende Geschichte.
Martin Kubaczek, kolik
Die traurig-anmutige Bilanz einer Ehe.
Volker Hage, Der Spiegel
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