Elementarkräfte
Unser Blick auf den österreichischen Erzähler Adalbert Stifter (1805-1868) ist mehrfach getrübt. Zum einen durch die so geistvollen wie rasend ungerechten Essays, die Arno Schmidt dem »sanften Unmenschen? widmete, zum anderen durch Thomas Bernhards Invektiven in seinem herrlichen Roman »Alte Meister?. Als Dichter der Gänseblümchen gilt uns der schwere, düstere Mann seither. Zu Unrecht, wie der Germanist Karl Wagner, der seit 2003 in Zürich lehrt, in diesem klug zusammengestellten, mit einem gescheiten Nachwort versehenen Band zeigt. Er versammelt sieben Texte aus Stifters Spätzeit, die hier meist nach der historisch-kritischen Gesamtausgabe, daneben auch nach der Winkler-Edition wiedergegeben werden. Sie führen von der Künstlernovelle »Nachkommenschaften« »Der Waldbrunnen« und »Der Kuß von Sentze« über die erste Fassung von »Der fromme Spruch« bis zu den »Winterbriefen aus Kirchschlag«, der Skizze »Ais dem bayerischen Walde« und dem knappen Abriss »Mein Leben«. Besonders in seinen Schilderungen des Winters zeigt sich Stifter hier als abgründiger Meister in der Gestaltung elementarer Kräfte. Im »Kuß«beweist er aber auch, dass er – entgegen dem gängigen Vorurteil – Humor hat. Man staunt Satz für Satz und greift neugierig wieder zu »Witiko« und »Nachsommer«